Mittwoch, 23. November 2011

Von den Absurditäten des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes

Das Wort an sich - Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) - ist schon ein Ungetüm. Ungemütlich kann es auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs werden, der sich eigentlich nur eine vernünftige Karriereperspektive wünscht. Im Gegensatz zu anderen Hochschulsystemen bietet das deutsche unterhalb der Professur kaum unbefristete Anstellungsmöglichkeiten. Damit Mitarbeiter nicht auf ewig befristet beschäftigt werden, gibt es die sogenannte 12-Jahres-Regel, die besagt, dass Wissenschafterinnen und Wissenschaftler nicht länger als zwölf Jahre (sechs vor und sechs nach Abschluss der Promotion) beschäftigt werden dürfen. Aber natürlich gibt es Ausnahmen, die allerdings  zu teils absurden Konsequenzen führen. 
Ein Beispiel gibt Markus Dahlem in seinem Beitrag für die SciLogs, in dem er anhand seines eigenen Werdegangs darlegt, mit welch komplexen Konstruktionen in der Praxis hantiert wird:

"[...] dieses Gesetz führt in der Tat zu einer widersinnigen Regelung, weil es unzureichend von zwingend greifenden Maßnahmen zur Schaffung von akademischen Juniorpositionen flankiert ist, d.h. Positionen, die Auskommen und Karrierepersepktive bieten [...].
Bevor jemand diese Regelung kritisiert, sollte er bedenken, dass wohl leider der wesentliche Grund, warum sie ins Leere läuft, gerade der ist, dass mit hoher Kreativität von Alternativen zur akademischen Juniorposition Gebrauch gemacht wird, um dieses Gesetz bewusst zu umgehen – ich kann die unredlichen davon gar nicht alle aufzählen, aber die Leser können es in den Kommentaren. Natürlich wird ein Gesetz, das umgangen werden kann, nicht zu der gewünschten Regelung des wissenschaftlichen Nachwuchses führen."
Die gegenwärtige Regelung führt seiner Meinung nach nicht zu einer Verbesserung der Position des wissenschaftlichen Nachwuchs, der Unabhängigkeit und Perspektive benötige. Die Lösung sieht Markus Dahlem in mehr akademischen Juniorpositionen. Von diesen ist an deutschen Universitäten bislang kaum etwas zu sehen: 
"Ich frage konkret: wie viel Prozent der akademischen Juniorpositionen, die als Anschub Drittmittel-finanziert wurden, sind heute verstetigt und werden aus dem Etat der Hochschule getragen? Der Druck für eine Reform verpufft, solange es günstigere Lösungen gibt."
In seinem Fall war die günstigere Lösung eine Gastdozentur. Er fordert daher eine Strukturreform für die Karrierewege des wissenschaftlichen Nachwuchses: 
"Es liegt weniger an der Rechtslage, denn dass nach 12 Jahren die Qualifikationsphase nicht mehr als Befristungsgrund gelten kann, ist selbsverständlich. Weniger selbstverständlich, aber mit einer föderalen Bildungspolitik gewollt, ist, dass die Strukturreform vor Ort geregelt werden muss.
Dem politischen Willen im Hochschulrahmengesetz müssen endlich Taten folgen. Da eine Strukturreform kostenneutral erfolgen muss, wird es nicht ohne Verlierer gehen. [...] Ein weiteres Stück der Verantwortung für die momentane Fehlentwicklung liegt sicher auch ganz vorne, in den Händen des Nachwuchses selbst. Als Wissenschaftler trage auch ich Verantwortung für die Redlichkeit des Systems, in dem ich Wissenschaft machen will." 
Um gegen die Missstände vorzugehen, hat Markus Dahlem bei Facebook eine Seite "25% akademische Juniorpositionen" ins Leben gerufen, auf der man sich zum Thema austauschen kann und weitere Initiativen koordiniert werden können. 

Dienstag, 8. November 2011

Neue PISA-Ergebnisse: Eltern brauchen keinen Doktortitel

Von Harald Wilkoszewski 



Mütter und Väter haben es vielleicht schon immer intuitiv gewusst: Der Schulerfolg ihrer Kinder hängt nicht unbedingt davon ab, ob man selbst einen hohen Ausbildungsgrad erreicht hat. Wichtig ist vor allem ein echtes, aktives Interesse am Leben des Nachwuchses.

Um ihre Kinder in der Schule zu unterstützen, müssen Eltern keine promovierten Mathematiker, Germanisten oder Physiker sein. Grundlegende Aktivitäten wie regelmäßiges Vorlesen, Gespräche über die Schulsituation, über Bücher, Filme oder Fernsehprogramme oder auch nur über allgemeine Themen steigern den Schulerfolg von Kindern erheblich.

Dies zeigen neue Ergebnisse des internationalen Programms zur Schülerbewertung PISA, die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) heute in der Reihe Pisa in Focus veröffentlicht hat: What can parents do to help their children succeed in school? (PDF)
So erzielen Schüler, deren Eltern angaben, während des ersten Grundschuljahres „täglich oder beinahe täglich“ gemeinsam mit ihren Kindern ein Buch gelesen zu haben, im Alter von 15 Jahren deutlich bessere Testergebnisse im Lesen als jene Schüler, deren Eltern „nie oder fast nie“ bzw. „nur ein- bis zweimal pro Monat“ gemeinsam mit ihren Kindern lasen. Die Testergebnisse wichen um durchschnittlich 25 Bewertungspunkte ab – ein beträchtlicher Vorsprung, der mehr als einem halben Schuljahr entspricht. In Deutschland, das zu den 14 untersuchten Ländern gehörte, betrug der Unterschied sogar 50 Bewertungspunkte.

Die Ergebnisse der Analysen widersprechen darüber hinaus der landläufigen Meinung, dass bessere Schulleistungen vom sozio-ökonomischen Hintergrund der Familie abhängen. Ein Großteil der höheren Lesekompetenz, durchschnittlich 14 Bewertungspunkte (Deutschland: 29), bleibt nämlich auch dann erhalten, wenn Faktoren wie Bildungsstand und Haushaltseinkommen der Eltern berücksichtigt werden.

Die OECD sieht diese Ergebnisse als ermutigendes Signal an Eltern, die sich vielleicht Sorgen um ihre Fähigkeiten machen, ihre Kinder in der Schule ausreichend zu unterstützen. Einfache Schritte, wie eben regelmäßiges Vorlesen in jungen Jahren und Gespräche mit den Kindern, können Schulleistungen erheblich steigern. Und dazu bedarf es wahrlich keines Doktorhuts.

Die OECD-Mitteilung im Wortlaut (auf Englisch): http://oecdeducationtoday.blogspot.com/

Samstag, 5. November 2011

Ausgebremst und ausgegrenzt? - Wie unser Bildungssystem gerechter werden kann

Für den 19. Januar 2012 laden die stiftung neue verantwortung (snv) und bildungsrepublik.de zu einer Diskussionsveranstaltung in die Räume der snv in Berlin ein. Katja Urbatsch, Gründerin von ArbeiterKind.de, und Jörg Dräger, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung, diskutieren ab 19:00 Uhr die Thesen ihrer neu erschienenen Bücher.

Jörg Dräger hat in Hamburg und an der Cornell University Physik studiert. 1996 wurde er mit einer Arbeit zur Kristallographie in Cornell promoviert. Anschließend arbeitete er für die Unternehmensberatung Roland Berger und als Geschäftsführer des Northern Institute of Technology in Hamburg-Harburg. Von 2001 bis 2008 war er Wissenschaftssenator in Hamburg, von 2004 bis 2006 zusätzlich auch Gesundheitssenator. Seit Juli 2008 ist er Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung für den Bereich Bildung und zugleich Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung.

Katja Urbatsch gründete 2008 das mittlerweile deutschlandweit bekannte Internetportal ArbeiterKind.de. Ziel dieser Plattform ist es, Schüler aus Familien ohne akademischen Hintergrund zum Studium zu motivieren und mit Informationen zu unterstützen. Nach ihrem Studium der Nordamerikastudien, Betriebswirtschaftslehre, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin und der Boston University promoviert sie derzeit mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung an der Justus-Liebig-Universität Gießen. 2009 wurde sie als Fellow in das Ashoka-Programm aufgenommen, das besonders vielversprechende social entrepreneurs fördert.

Moderator:

Sebastian Litta ist Fellow der stiftung neue verantwortung in Berlin. Nach Studium in Duke, Harvard und an der FU Berlin sowie Tätigkeiten in der Wirtschaft und als Referent im Präsidium der Leuphana Universität Lüneburg befasste er sich mit den Veränderungen des deutschen Hochschulsystems. Seit November 2011 leitet er zudem ein Projekt zur Veränderung von Führungsverhalten in Deutschland.

Anmeldungen werden in der stiftung neue verantwortung gerne entgegengenommen: Link zur Anmeldung. 

Nähere Informationen zu den beiden Büchern finden sich hier:

Jörg Dräger: Dichter, Denker, Schulversager. Gute Schulen sind machbar - Wege aus der Bildungskrise. Mit einer politischen Gebrauchsanweisung von Klaus von Dohnanyi, München: DVA, 2011.
Katja Urbatsch: Ausgebremst: Warum das Recht auf Bildung nicht für alle gilt, München: Heyne, 2011