Sonntag, 17. März 2013

Setzen, sechs! Neue PISA-Ergebnisse belegen Benachteiligung von Jungen und ärmeren Schülern bei der Notenvergabe

Sie haben uns alle jahrelang zittern lassen – und sie treiben jeden Tag den Adrenalinspiegel von tausenden von Schülerinnen und Schülern in die Höhe: Noten. Sie können einen stolz machen oder verzweifeln lassen – vor allem aber haben die Bewertungen durch Lehrkräfte großen Einfluss auf die Zukunftschancen junger Menschen, und das weltweit: Über 95% aller Schülerinnen und Schüler, die am internationalen Programm zur Schülerbewertung PISA der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD teilnehmen, besuchen Schulen, die Lernerfolge durch benotete Prüfungen oder Schulprojekte bewerten.

Umso besorgniserregender sind deshalb die neuen PISA-Ergebnisse, die die OECD nun vorgelegt hat: Lehrkräfte tendieren dazu, Mädchen und Schüler mit höherem sozialökonomischen Status bessere Noten zu geben als Jungen und Schülern aus sozial benachteiligten Familien, auch wenn diese gleiche Schulleistungen bzw. Lernbereitschaft zeigen. Diese Praxis ist deshalb so problematisch, weil sie weitreichende Konsequenzen mit sich bringen könnte – denn zum Einen beeinflussen Noten erheblich die Erwartungen von Schülerinnen und Schüler an ihre eigenen späteren Bildungs- und Berufserfolge; zum Anderen sind Noten immer noch eines der wichtigsten Auswahlkriterien für den Zugang zu höherer Bildung, z.B. beim Eintritt in Universitäten.

Immer wenn Lehrerinnen und Lehrer also Eigenschaften ihrer Schülerschaft benoten, die nichts mit Lernerfolgen zu tun haben, prägen sie womöglich den zukünftigen Lebenslauf junger Menschen ohne deren tatsächliche Fähigkeiten, Talente und persönliche Ziele zu berücksichtigen.

Deshalb ist es so wichtig, dass Schulen ein Benotungskonzept bereitstellen, das tatsächliche Lernerfolge belohnt, und nicht Faktoren wie den familiären Hintergrund oder das Geschlecht. Bisherige Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass kleinere Notenskalen (z.B. eins bis fünf) besser geeignet sind, Lernerfolge zu qualifizieren als größere (manche Länder haben beispielsweise Skalen von 1 bis 100). Außerdem empfiehlt die OECD folgende weiteren Kriterien für eine faire und effiziente Benotung:

  • Noten sollten immer klar und transparent dargestellt werden und darauf ausgerichtet sein, den Lernerfolg zu steigern;
  • Noten sollten klare und präzise Kriterien zugrunde liegen, die die Lernleistung anhand vorher festgelegter Ziele bewerten;
  • Benotungen sollten nicht dazu verwendet werden, eine Erwartungshaltung seitens der Lehrkraft auszudrücken oder um Verhalten oder etwa die Handschrift zu beurteilen; falls überhaupt nötig sollten dafür zwei unabhängige Bewertungssysteme geführt werden;
  • Noten sollten nicht zur Bestrafung von Schülerinnen und Schülern eingesetzt werden, etwa weil sie Schularbeiten zu spät oder unvollständig eingereicht haben;
  • die Notenverteilung innerhalb einer Klasse oder Gruppe sollte nicht vorher festgelegt sein, da dies die Motivation der Schülerinnen und Schülern hemmt und zu einer schädlichen Wettbewerbssituation innerhalb der Klassengemeinschaft führen kann;
  • der Einsatz von numerischen Bewertungen sollte in manchen Bereichen mit einer qualitativen, persönlichen Bewertung durch die Lehrkraft abgewogen werden.

Natürlich hört sich das alles leichter an als getan. Jeder, der schon einmal in der Situation war, Noten vergeben zu müssen, weiß, dass das eine ziemliche Herausforderung sein kann. Dennoch machen die PISA-Ergebnisse deutlich, wie wichtig eine stetige Auseinandersetzung mit den Hintergründen und gegebenenfalls Vorurteilen des Benotungssystems ist. Denn schlechte Noten bedeuten oft nicht nur eine miese Laune bei den Eltern und weniger Taschengeld, sondern können die gesamte Bildungslaufbahn eines jungen Menschen nachhaltig beeinträchtigen.

Von Harald Wilkoszewski