Deutsche Studienangebote im Ausland: Talentakquise oder teurer Nachhilfeunterricht für deutsche Hochschulen?
Zehn Jahre nach Beginn des BMBF-Förderprojekts „Studienangebote deutscher Hochschulen im Ausland“ lassen klare Zielsetzungen und Evaluationsmechanismen deutscher Hochschulen weiter auf sich warten. Der folgende Artikel liefert Deutungsversuche der hochschulpolitischen Motivation hinter dem Prestigeprojekt Offshore-Präsenz.
Die in den vergangenen zehn Jahren weltweit gewachsene Nachfrage für akademische Qualifikationen spiegelt sich in der steigenden Zahl internationaler Studierender wider: Allein zwischen 2000 und 2008 war ein Anstieg von über 50 Prozent auf nunmehr 3,3 Millionen internationale Studierende zu verzeichnen. Trotz stagnierender Zahlen behauptet Deutschland seinen Platz als viertgrößtes Gastgeberland für internationale Studierende (239.143 in 2009).
Neben der grenzüberschreitenden Mobilität von Studierenden spielen im Ausland angebotene Studienprogramme attraktiver Gastgeberländer eine immer größere Rolle. Speziell angelsächsische Hochschulen haben in den vergangenen Jahren gezielt profitable „Offshore“-Bildungsangebote für Marketing- und Rekrutierzwecke genutzt. Auch deutsche Hochschulen begeben sich zusehends auf unternehmerisches Neuland. Mit rund 10.000 eingeschriebenen Studierenden weltweit (2010) sind deutsche Studienangebote im Ausland allerdings deutlich überschaubarer als die groß angelegten Offshore-Angebote angelsächsischer Länder wie Australien (75.377 Studierende in 2009) und Großbritannien (212.195 in 2010). Dieser deutliche Größenunterschied läßt sich in erster Linie durch die in diesem Bereich ausgeprägtere Eigeninitiative angelsächsischer Hochschulen und deren unternehmerische Zielsetzungen erklären. Der Löwenanteil der deutschen Studienangebote im Ausland ist durch Fördergelder der Bundesministerien – allen voran das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) – und deren Zielvorstellungen geprägt.
Das seit 2001 durch den DAAD administrierte BMBF-Programm zur Förderung von Studienangeboten deutscher Hochschulen im Ausland umfasst heute den Großteil der deutschen Offshore-Bildungsprogramme. Ende 2010 förderte das Programm 41 Hochschulprojekte in 23 Ländern und fünf Partnerregionen (siehe Grafik).
Datenquelle: Deutscher Akademischer Austausch Dienst (DAAD).
Unklare Zielsetzungen der Hochschulen
Während Profitgenerierung und das Einwerben ausländischer Studierender für weiterführende Studien im Gastgeberland die Hauptzielsetzungen vieler angelsächsischer Auslandsprojekte darstellen, bietet sich bei deutschen Unternehmungen ein deutlich verschwommeneres Bild. Die finanzielle - und zum Teil organisatorische – Abhängigkeit von Bundesministerien und anderen Partnerorganisationen hat viele deutsche Hochschulen in erheblichem Maße aus der Verantwortung genommen eigene strategische Ziele zu formulieren, geschweige denn diese Ziele systematisch zu verfolgen.
Die strategischen Kernziele des bei weitem größten deutschen Förderprojekts, dem BMBF-Projekt „Studienangebote deutscher Hochschulen im Ausland“, können in drei Punkten zusammengefasst werden:
- Bessere internationale Positionierung des Wissenschaftsstandorts Deutschland zur Förderung der Kooperation zwischen deutschen und ausländischen Akteuren in Forschung und Lehre
- Nachhaltige Stärkung von Bildung und Forschung in Entwicklungsländern
- Befähigung deutscher Hochschulen zu unternehmerischer Tätigkeit auf dem internationalen Bildungsmarkt
Hauptzielgruppe: Nachwuchsforscher?
Die Qualitätssicherungsrhetorik des DAAD sowie die seit 2001 stetig steigenden Zahlen von Bildungsausländern im Promotionsstudium könnten als ein Indiz für eine auf das Anwerben von hochqualifizierten Graduierten und Doktoren ausgerichtete Rekrutierstrategie der Hochschulen angesehen werden. Wie in der untrigen Grafik veranschaulicht, verzeichneten Bildungsausländer im Promotionsstudium (gepunktete Linie) nicht nur das konstanteste Wachstum aller Bildungsausländer an deutschen Hochschulen, sondern auch entgegen dem Trend einen durchweg positiven Zuwachs von 9.490 (2001) auf 17.856 (2009) Promovierende. Des weiteren wird die These der Anwerbung von Forschungstalenten durch das Übergewicht von deutschen Master-Studiengängen im Ausland gestützt: Im Jahr 2008 führten 46 Prozent der deutschen Studiengänge im Ausland zu einen Master-Abschluss. Gleichzeitig strebten nur zwölf Prozent der innerhalb Deutschlands eingeschriebenen Bildungsausländer einen Master-Abschluss an.
Datenquelle: Hochschul-Informations-System GmbH (HIS).
So reizvoll die Annahme einer von Qualität und Talentakquise getriebenen Auslandsstrategie deutscher Hochschulen, so sehr sollte die obrige Analyse mit Vorsicht genossen werden. Angesichts der Abwesenheit von weitreichenden Verlaufsdaten, welche unmissverständlich auf das erfolgreiche Anwerben von Graduierten und Promovierenden (und deren Verbleibeabsichten) schließen lassen, bezeichnet das derzeitige Evaluationsvakuum eine passendere Abbildung deutscher Hochschulstrategie im Ausland.
Das zehnjährige Jubiläum des BMBF-Projekts lädt dazu ein, grundlegende Fragen über den Ist-Zustand des Engagements deutscher Hochschulen im Ausland zu stellen. Dienen diese Prestigeprojekte tatsächlich der erfolgreichen Anwerbung von Hochqualifizierten, oder handelt es sich hierbei um einen teuren Nachhilfeunterricht zu unternehmerischem Handeln für deutsche Hochschulen?
by Simon Morris-Lange