Donnerstag, 1. Dezember 2011

Charta für eine neue Promotionskultur

Plagiate sind kein Kavaliersdelikt. Es hat zwar ein bisschen gedauert, aber im Laufe des Jahres 2011 ist diese Botschaft doch allmählich auch in der breiteren Öffentlichkeit angekommen. Für einige Politiker bedeutete das neu entfachte öffentliche Interesse an ihren akademischen Leistungen gar das vorläufige Karriereende. Dass sich am Ende doch die Auffassung durchsetzte, wissenschaftliches Fehlverhalten habe durchaus auch politische Relevanz, kann die Wissenschaft durchaus als Erfolg verbuchen.

Für die Wissenschaft fängt die Bewältigung der Affären damit aber erst an. Angesichts der viele Fragen, die sich aus der mangelnden Umsetzung guter wissenschaftlicher Praxis ergeben, wäre es zu einfach, von einem eindeutigen Sieg der Wissenschaft zu sprechen. Zu deutlich ist, dass man an Deutschlands Universitäten eben nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Angesichts der jüngsten Berichte, dass einige Professoren bereits früh Kenntnis vom Plagiatsverdacht bei zu Guttenberg wussten, aber keine Maßnahmen ergriffen oder dem Entdecker unter Verweise auf eine mögliche Schädigung der Karriere rieten, den Verdacht nicht öffentlich zu machen, stellt sich die Frage, ob sich an den Universitäten tatsächlich eine "Kultur des Wegsehens" oder der falsch verstandenen Kollegialität etabliert hat.

Nachdem auch die großen Wissenschaftsorganisationen ihre in der Causa Guttenberg anfänglich zu beobachtende Schockstarre überwunden und schon in der Causa Koch-Mehrin zu deutlichen Worten gefunden hatten, hat auch der Diskurs innerhalb der Universitäten und Wissenschaftsorganisationen an Fahrt gewonnen. Landauf und landab haben sich Veranstaltungen der Thematik gewidmet, auf denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über unterschiedliche Möglichkeiten zur Stärkung guter wissenschaftlicher Praxis diskutierten - gestern auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen unter Federführung der DFG (Video-Mitschnitt der Podiumsdiskussion; Berichte im Deutschlandfunk und der taz). Ein Ausgangspunkt der Diskussion waren Vorschläge, die in den letzten Wochen und Monaten von unterschiedlichen Akteuren im Wissenschaftsbereich erarbeitet wurden. Im November stellte beispielsweise der Wissenschaftsrat ein Positionspapier zur Qualitätssicherung der Promotion vor, in dem unter anderem für die stärkere Einbindung von Doktoranden in Forschungsstrukturen, die Betreuung durch mehrere Personen und die Beschränkung auf zwei Notenstufen plädiert wird. Andere, wie beispielsweise der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, sprechen sich gegen die "Ablösung des persönlichen Verhältnisses zwischen Doktoranden und Doktorvater bzw. Doktormutter zugunsten einer entpersonalisierten Zuweisung der Doktoranden an ein Promotionskomitee" aus.

Leider wird in diesen Diskussionen meist eher über Doktoranden diskutiert als mit ihnen. Das ist aus zwei Gründen bedauerlich:

Zum einen könnte man beinahe den Eindruck gewinnen, es seien in erster Linie die Doktoranden, bei denen wissenschaftliches Fehlverhalten zu beobachten sei. Dabei hat beispielsweise die WissenschaftlerInnen-Befragung 2010 des Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (iFQ) deutliche Zahlen zu Tage gefördert: "Die Probleme wissenschaftlichen Fehlverhaltens werden in der Scientific Community – nicht nur vor dem Hintergrund der jüngsten Skandale – sehr genau registriert. Mehr als die Hälfte der befragten Professorinnen und Professoren berichtete eigenes oder fremdes Fehlverhalten – insbesondere versagte oder künstliche Autorschaft und Nachlässigkeiten im Zuge von Begutachtungen." (S. 185-186) Nicht zuletzt ließe sich argumentieren, dass Doktoranden häufig Opfer wissenschaftlichen Fehlverhaltens werden.

Zum anderen fehlen in der Debatte die Stimmen derjenigen, die am meisten von den bevorstehenden Änderungen betroffen sein werden - ob es sich um die Einführung von eidesstattlichen Versicherungen, verpflichtenden Kursen oder Plagiatssoftware handelt. Ungeachtet der (mehr oder minder großen) Sinnhaftigkeit dieser Maßnahmen wäre es wünschenswert, wenn man mehr darüber wüsste, was Doktorandinnen und Doktoranden von den gegenwärtig diskutierten Vorschlägen halten. Dabei weiß man noch nicht einmal besonders viel über all jene, die in Deutschland an ihrer Doktorarbeit sitzen. Noch nicht einmal genaue Zahlen über die Anzahl der Promovierenden sind bekannt. Auch deswegen fordert der Wissenschaftsrat einen eigenen "Doktorandenstatus" für alle Promovierenden, mit dem eine ungeachtet der Anbindung eine Erfassung seitens der Universitäten möglich wäre, gleichzeitig aber auch auch die Interessenvertretung des Nachwuchses erleichtern könnte.

Zunächst erscheint es aber wünschenswert, eine Position des wissenschaftlichen Nachwuchses zur Qualitätssicherung der Promotion zu erarbeiten. In Kooperation mit dem Promovierenden-Netzwerk THESIS will bildungsrepublik.de daher versuchen, eine solche Diskussion in Gang zu setzen. Mit der Technologie von echo wollen wir ein Experiment wagen, das auf die Mitarbeit von vielen angewiesen ist, aber auch den Nachweis antreten könnten, dass der wissenschaftliche Nachwuchs im Internet nicht nur meckern, sondern auch konstruktive Vorschläge machen kann. Ersteres hat mit dem Offenen Brief von Doktoranden an die Bundeskanzlerin bereits gut funktioniert - und auch Zweiteres sollte zu schaffen sein.

Wir freuen uns über Mitarbeit, Anregungen und Kommentare. Mehr Informationen zur Aktion gibt es auf der entsprechenden Seite bei echo - www.echo.to/charta-promotionskultur - sowie auf der für die Aktion eingerichteten Facebook-Seite.

Mittwoch, 23. November 2011

Von den Absurditäten des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes

Das Wort an sich - Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) - ist schon ein Ungetüm. Ungemütlich kann es auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs werden, der sich eigentlich nur eine vernünftige Karriereperspektive wünscht. Im Gegensatz zu anderen Hochschulsystemen bietet das deutsche unterhalb der Professur kaum unbefristete Anstellungsmöglichkeiten. Damit Mitarbeiter nicht auf ewig befristet beschäftigt werden, gibt es die sogenannte 12-Jahres-Regel, die besagt, dass Wissenschafterinnen und Wissenschaftler nicht länger als zwölf Jahre (sechs vor und sechs nach Abschluss der Promotion) beschäftigt werden dürfen. Aber natürlich gibt es Ausnahmen, die allerdings  zu teils absurden Konsequenzen führen. 
Ein Beispiel gibt Markus Dahlem in seinem Beitrag für die SciLogs, in dem er anhand seines eigenen Werdegangs darlegt, mit welch komplexen Konstruktionen in der Praxis hantiert wird:

"[...] dieses Gesetz führt in der Tat zu einer widersinnigen Regelung, weil es unzureichend von zwingend greifenden Maßnahmen zur Schaffung von akademischen Juniorpositionen flankiert ist, d.h. Positionen, die Auskommen und Karrierepersepktive bieten [...].
Bevor jemand diese Regelung kritisiert, sollte er bedenken, dass wohl leider der wesentliche Grund, warum sie ins Leere läuft, gerade der ist, dass mit hoher Kreativität von Alternativen zur akademischen Juniorposition Gebrauch gemacht wird, um dieses Gesetz bewusst zu umgehen – ich kann die unredlichen davon gar nicht alle aufzählen, aber die Leser können es in den Kommentaren. Natürlich wird ein Gesetz, das umgangen werden kann, nicht zu der gewünschten Regelung des wissenschaftlichen Nachwuchses führen."
Die gegenwärtige Regelung führt seiner Meinung nach nicht zu einer Verbesserung der Position des wissenschaftlichen Nachwuchs, der Unabhängigkeit und Perspektive benötige. Die Lösung sieht Markus Dahlem in mehr akademischen Juniorpositionen. Von diesen ist an deutschen Universitäten bislang kaum etwas zu sehen: 
"Ich frage konkret: wie viel Prozent der akademischen Juniorpositionen, die als Anschub Drittmittel-finanziert wurden, sind heute verstetigt und werden aus dem Etat der Hochschule getragen? Der Druck für eine Reform verpufft, solange es günstigere Lösungen gibt."
In seinem Fall war die günstigere Lösung eine Gastdozentur. Er fordert daher eine Strukturreform für die Karrierewege des wissenschaftlichen Nachwuchses: 
"Es liegt weniger an der Rechtslage, denn dass nach 12 Jahren die Qualifikationsphase nicht mehr als Befristungsgrund gelten kann, ist selbsverständlich. Weniger selbstverständlich, aber mit einer föderalen Bildungspolitik gewollt, ist, dass die Strukturreform vor Ort geregelt werden muss.
Dem politischen Willen im Hochschulrahmengesetz müssen endlich Taten folgen. Da eine Strukturreform kostenneutral erfolgen muss, wird es nicht ohne Verlierer gehen. [...] Ein weiteres Stück der Verantwortung für die momentane Fehlentwicklung liegt sicher auch ganz vorne, in den Händen des Nachwuchses selbst. Als Wissenschaftler trage auch ich Verantwortung für die Redlichkeit des Systems, in dem ich Wissenschaft machen will." 
Um gegen die Missstände vorzugehen, hat Markus Dahlem bei Facebook eine Seite "25% akademische Juniorpositionen" ins Leben gerufen, auf der man sich zum Thema austauschen kann und weitere Initiativen koordiniert werden können. 

Dienstag, 8. November 2011

Neue PISA-Ergebnisse: Eltern brauchen keinen Doktortitel

Von Harald Wilkoszewski 



Mütter und Väter haben es vielleicht schon immer intuitiv gewusst: Der Schulerfolg ihrer Kinder hängt nicht unbedingt davon ab, ob man selbst einen hohen Ausbildungsgrad erreicht hat. Wichtig ist vor allem ein echtes, aktives Interesse am Leben des Nachwuchses.

Um ihre Kinder in der Schule zu unterstützen, müssen Eltern keine promovierten Mathematiker, Germanisten oder Physiker sein. Grundlegende Aktivitäten wie regelmäßiges Vorlesen, Gespräche über die Schulsituation, über Bücher, Filme oder Fernsehprogramme oder auch nur über allgemeine Themen steigern den Schulerfolg von Kindern erheblich.

Dies zeigen neue Ergebnisse des internationalen Programms zur Schülerbewertung PISA, die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) heute in der Reihe Pisa in Focus veröffentlicht hat: What can parents do to help their children succeed in school? (PDF)
So erzielen Schüler, deren Eltern angaben, während des ersten Grundschuljahres „täglich oder beinahe täglich“ gemeinsam mit ihren Kindern ein Buch gelesen zu haben, im Alter von 15 Jahren deutlich bessere Testergebnisse im Lesen als jene Schüler, deren Eltern „nie oder fast nie“ bzw. „nur ein- bis zweimal pro Monat“ gemeinsam mit ihren Kindern lasen. Die Testergebnisse wichen um durchschnittlich 25 Bewertungspunkte ab – ein beträchtlicher Vorsprung, der mehr als einem halben Schuljahr entspricht. In Deutschland, das zu den 14 untersuchten Ländern gehörte, betrug der Unterschied sogar 50 Bewertungspunkte.

Die Ergebnisse der Analysen widersprechen darüber hinaus der landläufigen Meinung, dass bessere Schulleistungen vom sozio-ökonomischen Hintergrund der Familie abhängen. Ein Großteil der höheren Lesekompetenz, durchschnittlich 14 Bewertungspunkte (Deutschland: 29), bleibt nämlich auch dann erhalten, wenn Faktoren wie Bildungsstand und Haushaltseinkommen der Eltern berücksichtigt werden.

Die OECD sieht diese Ergebnisse als ermutigendes Signal an Eltern, die sich vielleicht Sorgen um ihre Fähigkeiten machen, ihre Kinder in der Schule ausreichend zu unterstützen. Einfache Schritte, wie eben regelmäßiges Vorlesen in jungen Jahren und Gespräche mit den Kindern, können Schulleistungen erheblich steigern. Und dazu bedarf es wahrlich keines Doktorhuts.

Die OECD-Mitteilung im Wortlaut (auf Englisch): http://oecdeducationtoday.blogspot.com/

Samstag, 5. November 2011

Ausgebremst und ausgegrenzt? - Wie unser Bildungssystem gerechter werden kann

Für den 19. Januar 2012 laden die stiftung neue verantwortung (snv) und bildungsrepublik.de zu einer Diskussionsveranstaltung in die Räume der snv in Berlin ein. Katja Urbatsch, Gründerin von ArbeiterKind.de, und Jörg Dräger, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung, diskutieren ab 19:00 Uhr die Thesen ihrer neu erschienenen Bücher.

Jörg Dräger hat in Hamburg und an der Cornell University Physik studiert. 1996 wurde er mit einer Arbeit zur Kristallographie in Cornell promoviert. Anschließend arbeitete er für die Unternehmensberatung Roland Berger und als Geschäftsführer des Northern Institute of Technology in Hamburg-Harburg. Von 2001 bis 2008 war er Wissenschaftssenator in Hamburg, von 2004 bis 2006 zusätzlich auch Gesundheitssenator. Seit Juli 2008 ist er Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung für den Bereich Bildung und zugleich Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung.

Katja Urbatsch gründete 2008 das mittlerweile deutschlandweit bekannte Internetportal ArbeiterKind.de. Ziel dieser Plattform ist es, Schüler aus Familien ohne akademischen Hintergrund zum Studium zu motivieren und mit Informationen zu unterstützen. Nach ihrem Studium der Nordamerikastudien, Betriebswirtschaftslehre, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin und der Boston University promoviert sie derzeit mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung an der Justus-Liebig-Universität Gießen. 2009 wurde sie als Fellow in das Ashoka-Programm aufgenommen, das besonders vielversprechende social entrepreneurs fördert.

Moderator:

Sebastian Litta ist Fellow der stiftung neue verantwortung in Berlin. Nach Studium in Duke, Harvard und an der FU Berlin sowie Tätigkeiten in der Wirtschaft und als Referent im Präsidium der Leuphana Universität Lüneburg befasste er sich mit den Veränderungen des deutschen Hochschulsystems. Seit November 2011 leitet er zudem ein Projekt zur Veränderung von Führungsverhalten in Deutschland.

Anmeldungen werden in der stiftung neue verantwortung gerne entgegengenommen: Link zur Anmeldung. 

Nähere Informationen zu den beiden Büchern finden sich hier:

Jörg Dräger: Dichter, Denker, Schulversager. Gute Schulen sind machbar - Wege aus der Bildungskrise. Mit einer politischen Gebrauchsanweisung von Klaus von Dohnanyi, München: DVA, 2011.
Katja Urbatsch: Ausgebremst: Warum das Recht auf Bildung nicht für alle gilt, München: Heyne, 2011

Mittwoch, 26. Oktober 2011

Wege aus der Exzellenzfalle - Ideen für eine aktive Hochschulpolitik

In der Berliner stiftung neue verantwortung diskutieren am 27. Oktober 2011 die ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn (SPD), Sebastian Litta (stiftung neue verantwortung, Leiter des Projektteams ExzellenzCampus), Dr. Volker Meyer-Guckel vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und Prof. Dr. Hans Weiler, vormals Stanford University, über die Auswirkungen der Exzellenzinitiative auf die Zusammensetzung der Studierendenschaft an deutschen Universitäten. Die zentralen Ergebnisse des intersektoral und interdisziplinär zusammengesetzten Projektteams Exzellenzcampus, die als Grundlage der Diskussion dienen, sind als Policy Brief der stiftung neue verantwortung erschienen:


Sebastian Döring et al. (Oktober 2011): Wege aus der Exzellenzfalle - Ideen für eine aktive Hochschulpolitik, Berlin: stiftung neue verantwortung (PDF). 

Montag, 10. Oktober 2011

Gebühren schrecken nicht ab - der Umgang einiger Politiker mit Statistiken schon

Von Sebastian Litta

Die WZB-Studie von Tina Baier und Marcel Helbig zu den ausbleibenden Abschreckungs-Effekten von Studiengebühren ist der bisher wichtigste Beitrag zur Diskussion um Studiengebühren. Sie leistet zwei bedeutende Dinge: Sie zeigt direkt, dass es keine signifikanten Abschreckungseffekte von Studiengebühren gab. Indirekt zeigt sie aber auch, dass die bisherigen Methoden zur Messung der Gebühreneffekte mangelhaft waren und dass Politiker sich allzu bereit auf die voreilig und scheinbar wissenschaftlich fundierten Aussagen anderer Studien verlassen haben, ohne deren Mängel zu verstehen oder kritisch zu hinterfragen.

Leider kommt die Studie aber fast schon zu spät, da nahezu alle Bundesländer die Gebühren schon wieder abgeschafft haben. Erste Reaktionen aus Nordrhein-Westfalen zeigen auch, dass man sich dort bei der aktuellen Planung zur Gebührenabschaffung nicht von Studien beeinflussen lassen will. Schon vor einigen Jahren sagte die Dortmunder Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags Ulla Burchardt, dass ihr Studien egal seien, ihr Bauchgefühl sage ihr, dass Studiengebühren abschrecken. Bauchgefühle können täuschen, das bestätigt sich jetzt wieder einmal.

Allerdings gab es auch schon länger Wissenschaftspolitiker, die damit zwar nicht zitiert werden wollen, aber zugaben, dass egal ob Abschreckung oder nicht, ihre Anti-Studiengebührenhaltung einfach ein sehr erfolgreiches Wahlkampfwerkzeug sei. Der Einfluss der Studie auf die politische Diskussion wird daher vermutlich recht gering bleiben.

Die Studie enthüllt auch das teilweise Versagen bisheriger Forschung zu den Effekten von Studiengebühren. In den USA gibt es seit längerem den Trend, dass sich methodisch gut ausgebildte Ökonomen mit bildungswissenschaftlichen Fragen beschäftigen, weil, so der etwas arrogant klingende Wirtschaftswissenschaftler Joshua Angrist, "die Fragen rund um unser Bildungssystem zu wichtig sind, um sie allein den Bildungswissenschaftlern zu überlassen". Das öffentlich finanzierte HIS in Hannover, das momentan stark in der Kritik steht, weil es angeblich die deutschlandweite Bewerbungsplattform hochschulstart trotz 15 Millionen Euro Budget nicht rechtzeitig hat aufbauen können, hat Studien zu den Effekten von Studiengebühren veröffentlich. Diese Studien sind von Politikern, Studentenvertretern und anderen als Argumentationshilfe genutzt worden. Gleichwohl hätten die HIS-Forscher wissen müssen, dass ihre Methodik keinerlei kausalen Zusammenhänge erkennen ließ.

Baiers und Helbigs Studie nutzt deutlich fortgeschrittene Messverfahren, perfekt sind sie jedoch auch nicht, wie fast immer in den Sozialwissenschaften. Sind echte Menschen involviert, kann es nie die Messgenauigkeit der Naturwissenschaften geben. So können die Autoren nicht ausschließen, dass es aufgrund der Studiengebühren erhöhte Wanderungsbewegungen in gebührenfreie Bundesländer geben könnte. Allerdings gibt es auch keinen Beweis dafür, dass dies passiert sei. Eine Hauptkritik ist schließlich, dass genau wie in den HIS-Studien nicht der wirkliche Studienantritt, sondern nur die Studierneigung untersucht wurde. Es ist wenig plausibel, aber nicht unmöglich, dass sich die geäußerte Studierneigung nicht geändert hat, dann aber doch kein Studium aufgenommen wurde.

Die Studie kann hoffentlich helfen, in Bayern und Niedersachsen etwas mehr Verstand in die Debatte um die Studiengebühren zu bringen. Gleichzeitig kann vielleicht dauerhaft das Niveau der bildungswissenschaftlichen Forschung erhöht werden. Beides wären großartige Ziele, daher ist die Bedeutung dieser Studie nicht hoch genug einzuschätzen.

Freitag, 23. September 2011

Vereinsgründung "bildungsrepublik.de e.V." und Relaunch der Website im Herbst 2011


Sie befinden sich auf der Website des Vereins "bildungsrepublik.de e.V.", der im Sommer 2011 in Berlin gegründet wurde. Der Verein möchte zu einer umfassenden gesellschaftlichen Diskussion zu bildungspolitischen Themen in Deutschland beitragen. Gegenwärtig erarbeiten wir ein Konzept für die neue Website, die im Herbst 2011 online gehen soll.

Die neue Website wird aus mehreren Komponenten bestehen: Kern ist ein Weblog, der von einem Autorenteam betreut wird und sich mit unterschiedlichen Aspekten der "Bildungsrepublik" befasst - von Fragen frühkindlicher Bildung über Hochschulfragen bis zur Diskussion auf die Auswirkungen der digitalen Ära auf Formen des Lernens und Forschens. Darüber hinaus planen wir, auf unseren Seiten eine neue Diskussions-Technologie auszuprobieren und unterschiedliche Akteure, die sich für eine echte "Bildungsrepublik" einsetzen, miteinander zu vernetzen.

Der Verein ist aus unterschiedlichen Initiativen hervorgegangen. Zum einen besteht er aus den Initiatoren des bereits bestehenden Blogs bildungsrepublik.de, zum anderen aus einigen der Mit-Initiatoren des Offenen Briefs von Doktoranden an die Bundeskanzlerin in der Causa Guttenberg und weiteren Bildungsenthusiasten. Uns eint die Überzeugung, dass unser Land mehr braucht als bildungspolitische Sonntagsreden.
Wir wollen unseren Teil zu einer stärkeren gesellschaftliche Auseinandersetzung über Bildung im umfassenden Sinne beitragen und insbesondere die Perspektive der "digitalen Ureinwohner" einbringen.

Unsere Initiative ist nicht unpolitisch, aber parteipolitisch unabhängig. Wir möchten eine pluralistische Diskussion über bildungspolitische Fragen ermöglichen, die es vermeidet, in die ideologischen Muster überkommener bildungspolitischer Lager zu verfallen.

Mehr über den Verein und seine Ziele erfahren Sie in Kürze auf dieser Seite. In der Zwischenzeit finden Sie uns sowohl auf Facebook (https://www.facebook.com/bildungsrepublik.de) als auch über Twitter (@bildungsrep_de). Zusätzlich können Sie uns jederzeit über info -at- bildungsrepublik.de kontaktieren.

Nicht zuletzt freuen wir uns über Mitstreiterinnen und Mitstreiter - insbesondere Personen, die Lust haben, regelmäßig zu Bildungsfragen zu arbeiten und zu schreiben, und Programmierinnen und Programmierern, die uns bei der technischen Umsetzung unserer Vorhaben helfen. Gleiches gilt z.B. auch für Studierende in den Fächern Design o.ä. Wir freuen uns über alle Anregungen und Vorschläge!

Donnerstag, 19. Mai 2011

Deutsche Studienangebote im Ausland: Talentakquise oder teurer Nachhilfeunterricht für deutsche Hochschulen?

Zehn Jahre nach Beginn des BMBF-Förderprojekts „Studienangebote deutscher Hochschulen im Ausland“ lassen klare Zielsetzungen und Evaluationsmechanismen deutscher Hochschulen weiter auf sich warten. Der folgende Artikel liefert Deutungsversuche der hochschulpolitischen Motivation hinter dem Prestigeprojekt Offshore-Präsenz.

Die in den vergangenen zehn Jahren weltweit gewachsene Nachfrage für akademische Qualifikationen spiegelt sich in der steigenden Zahl internationaler Studierender wider: Allein zwischen 2000 und 2008 war ein Anstieg von über 50 Prozent auf nunmehr 3,3 Millionen internationale Studierende zu verzeichnen. Trotz stagnierender Zahlen behauptet Deutschland seinen Platz als viertgrößtes Gastgeberland für internationale Studierende (239.143 in 2009).

Neben der grenzüberschreitenden Mobilität von Studierenden spielen im Ausland angebotene Studienprogramme attraktiver Gastgeberländer eine immer größere Rolle. Speziell angelsächsische Hochschulen haben in den vergangenen Jahren gezielt profitable „Offshore“-Bildungsangebote für Marketing- und Rekrutierzwecke genutzt. Auch deutsche Hochschulen begeben sich zusehends auf unternehmerisches Neuland. Mit rund 10.000 eingeschriebenen Studierenden weltweit (2010) sind deutsche Studienangebote im Ausland allerdings deutlich überschaubarer als die groß angelegten Offshore-Angebote angelsächsischer Länder wie Australien (75.377 Studierende in 2009) und Großbritannien (212.195 in 2010). Dieser deutliche Größenunterschied läßt sich in erster Linie durch die in diesem Bereich ausgeprägtere Eigeninitiative angelsächsischer Hochschulen und deren unternehmerische Zielsetzungen erklären. Der Löwenanteil der deutschen Studienangebote im Ausland ist durch Fördergelder der Bundesministerien – allen voran das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) – und deren Zielvorstellungen geprägt.

Das seit 2001 durch den DAAD administrierte BMBF-Programm zur Förderung von Studienangeboten deutscher Hochschulen im Ausland umfasst heute den Großteil der deutschen Offshore-Bildungsprogramme. Ende 2010 förderte das Programm 41 Hochschulprojekte in 23 Ländern und fünf Partnerregionen (siehe Grafik).

Anmerkung: Die Daten umfassen das BMBF-Programm "Studienangebote deutscher Hochschulen im Ausland". Weitere Förderprojekte des Auswärtigen Amts und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), wie zum Beispiel die Afrika-Initiative, sind nicht dargestellt.
Datenquelle: Deutscher Akademischer Austausch Dienst (DAAD).



Unklare Zielsetzungen der Hochschulen

Während Profitgenerierung und das Einwerben ausländischer Studierender für weiterführende Studien im Gastgeberland die Hauptzielsetzungen vieler angelsächsischer Auslandsprojekte darstellen, bietet sich bei deutschen Unternehmungen ein deutlich verschwommeneres Bild. Die finanzielle - und zum Teil organisatorische – Abhängigkeit von Bundesministerien und anderen Partnerorganisationen hat viele deutsche Hochschulen in erheblichem Maße aus der Verantwortung genommen eigene strategische Ziele zu formulieren, geschweige denn diese Ziele systematisch zu verfolgen.

Die strategischen Kernziele des bei weitem größten deutschen Förderprojekts, dem BMBF-Projekt „Studienangebote deutscher Hochschulen im Ausland“, können in drei Punkten zusammengefasst werden:
  • Bessere internationale Positionierung des Wissenschaftsstandorts Deutschland zur Förderung der Kooperation zwischen deutschen und ausländischen Akteuren in Forschung und Lehre
  • Nachhaltige Stärkung von Bildung und Forschung in Entwicklungsländern
  • Befähigung deutscher Hochschulen zu unternehmerischer Tätigkeit auf dem internationalen Bildungsmarkt
Wenngleich der dritte Punkt explizit auf eine Bringschuld deutscher Hochschulen abzielt, so lassen klare Absichtserklärungen und proaktive Evaluierung auf sich warten. Angesichts der primär auf Kostendeckung ausgelegten Studiengebühren deutscher Auslandsangebote von durchschnittlich 2.000 Euro kann nur in Ausnahmefällen auf die Erschließung neuer profitabler Geschäftszweige geschlossen werden. Auch das Rekrutieren von ausländischen Studierenden für weiterführende Studienaufenthalte in Deutschland ist angesichts der seit Jahren stagnierenden Zahl internationaler Studierender fraglich. Dem Anstieg von vom BMBF geförderten deutschen Studiengängen im Ausland von 76 (2005) auf 134 (2010) steht zuweilen ein Rückgang der Einschreibungszahlen von Bildungsausländern von 189.450 (2006) auf 180.222 (2009) entgegen.


Hauptzielgruppe: Nachwuchsforscher?

Die Qualitätssicherungsrhetorik des DAAD sowie die seit 2001 stetig steigenden Zahlen von Bildungsausländern im Promotionsstudium könnten als ein Indiz für eine auf das Anwerben von hochqualifizierten Graduierten und Doktoren ausgerichtete Rekrutierstrategie der Hochschulen angesehen werden. Wie in der untrigen Grafik veranschaulicht, verzeichneten Bildungsausländer im Promotionsstudium (gepunktete Linie) nicht nur das konstanteste Wachstum aller Bildungsausländer an deutschen Hochschulen, sondern auch entgegen dem Trend einen durchweg positiven Zuwachs von 9.490 (2001) auf 17.856 (2009) Promovierende. Des weiteren wird die These der Anwerbung von Forschungstalenten durch das Übergewicht von deutschen Master-Studiengängen im Ausland gestützt: Im Jahr 2008 führten 46 Prozent der deutschen Studiengänge im Ausland zu einen Master-Abschluss. Gleichzeitig strebten nur zwölf Prozent der innerhalb Deutschlands eingeschriebenen Bildungsausländer einen Master-Abschluss an.

Datenquelle: Hochschul-Informations-System GmbH (HIS).

So reizvoll die Annahme einer von Qualität und Talentakquise getriebenen Auslandsstrategie deutscher Hochschulen, so sehr sollte die obrige Analyse mit Vorsicht genossen werden. Angesichts der Abwesenheit von weitreichenden Verlaufsdaten, welche unmissverständlich auf das erfolgreiche Anwerben von Graduierten und Promovierenden (und deren Verbleibeabsichten) schließen lassen, bezeichnet das derzeitige Evaluationsvakuum eine passendere Abbildung deutscher Hochschulstrategie im Ausland.

Das zehnjährige Jubiläum des BMBF-Projekts lädt dazu ein, grundlegende Fragen über den Ist-Zustand des Engagements deutscher Hochschulen im Ausland zu stellen. Dienen diese Prestigeprojekte tatsächlich der erfolgreichen Anwerbung von Hochqualifizierten, oder handelt es sich hierbei um einen teuren Nachhilfeunterricht zu unternehmerischem Handeln für deutsche Hochschulen?

by Simon Morris-Lange

Freitag, 14. Januar 2011

Neuer Wein in neuen Schläuchen

Angesicht der rasanten technischen Entwicklung steht auch das Bildungssystem vor großen Herausforderungen. Eine gute Gelegenheit zu überdenken, wie und welches Wissen wir eigentlich vermitteln wollen. Moderne Technologien bergen hierbei ein Füllhorn an Möglichkeiten.

In seinem Beitrag “Alma Mater ist die Beste” stellt Sebastian Litta fest, dass Hochschulen in den USA jenseits der Wissensvermittlung eine umfassende Sozialisationsfunktion zukommt, die gegenwärtig von deutschen Hochschulen bestenfalls indirekt wahrgenommen wird. Es ist daher an der Zeit, der Veränderung unseres Wissensbegriffs und den technischen Möglichkeiten digitaler Technologie Rechnung zu tragen!

Unsere Hochschulen sind im Normalfall keine klassischen Campusuniversitäten, die ihre Studierenden in eng geknüpfte soziale Strukturen einbinden. Auch formale, studiengangsunabhängige Bildungsziele sind dem deutschen Universitätssystem unbekannt. Die Definition einer fachübergreifenden universitären Allgemeinbildung entlang der Prinzipien des Curriculum Reform Manifesto könnte hier Abhilfe schaffen.

Wie von Litta erwähnt, kommt Hochschulen neben der Lehr- und Sozialisierungsfunktion auch eine Zertifizierungsfunktion zu. Entsprechend der Theorien, die 2001 mit dem Ökonomie-Nobelpreis geehrt wurden, tragen standardisierte Qualifikationen so entscheidend zur Überwindung von Informationsasymmetrien am Arbeitsmarkt bei. Diese Zertifizierung erfolgt dabei auf Grundlage einer vierten essenziellen Funktion der Universität: der Prüfungsfunktion.
Alle vier Funktionen stehen angesichts der rapiden Digitalisierung unserer Gesellschaft vor umfassenden Veränderungen.

Die Digitalisierung wirkt sich auf alle Funktionsbereiche der Universität aus

Lernen in Zeiten des Leitmedienwechsels – von den Massenmedien Buch, Radio und Fernseher zum Hyperindividualmedium Internet – bedingt sowohl ein Neudenken der Teleologie des Bildungsprozesses als auch einen Paradigmenwechsel bei den Wissensvermittlungsprozessen.

Die Vorlesung als Standardform universitärer Lehre ist tot. Analog zu Lehrbüchern werden Lehrvideoformate (man denke an die legendären Feynman Lectures) die besten Vorlesungen global verfügbar machen. Die Steigerung der Qualität der durchschnittlichen Vorlesungen rechtfertigt dabei allemal den Verlust an unmittelbarer Interaktivität für einige wenige Fragensteller. Die durch das Wegfallen der Vorlesung frei werdenden zeitlichen Ressourcen können stattdessen in die Betreuung der Studierenden (Stichwort: Mentoring) oder Diskussionen in Kleingruppen investiert werden.

Die Bewertung des Lernfortschritts könnte in vielen Fächern mithilfe digitaler Formate – beispielsweise in Form anspruchsvoller serious games – sowohl im Hinblick auf ihre Aussagekraft als auch ihre Ressourceneffizienz neu gestaltet werden und es so ermöglichen, dem eigenen Anspruch hinsichtlich der Prüfungsfunktion besser gerecht zu werden.

Institutionell verifizierte Online-Identitäten und Wissensportfolios schaffen mehr Transparenz als normierte Noten und Credit Points und ermöglichen somit zukünftig eine differenziertere Form der Zertifizierung.

Soziale Netzwerke bieten gerade deutschen Universitäten eine Chance, durch die Verbindung von Studierenden und Lehrenden eine Art virtuellen Meta-Campus zu schaffen und so die Anonymität der Massenuniversität auch offline zu überwinden. Ein solches Netzwerk, das sowohl reale Beziehungen abbildet als auch online neue Verknüpfungen herstellt, fungiert dabei als Transmissionsriemen der Wissensgesellschaft und ermöglicht in bisher nicht gekanntem Maß die dezentrale, kursunabhängige und interdisziplinäre Verbreitung von Informationen, Meinungen und Werturteilen innerhalb der Universität und darüber hinaus.

Wer die Digitalisierung zur Gefahr stilisiert, romantisiert den Status quo

Ein Mehr an Digitalisierung kann somit im Ergebnis bessere Vorlesungen, intensivere Betreuung, aussagekräftigere Formen der Bewertung, einen höheren Grad an Leistungstransparenz und womöglich sogar ein integrierteres Sozialgefüge bedeuten. Kritiker, die befürchten, dass die Digitalisierung zu einer Distanzierung von Lehrenden und Lernenden führt, seien an dieser Stelle an die Aussage eines Studenten, die Eingang in einen Artikel des Chronicle of Higher Education fand, verwiesen: “If you want to encounter distance education … sit in the back of a 500-seat lecture.”

von Hannes Klöpper – erschienen am 12.01.2011 in The European