Donnerstag, 1. Dezember 2011

Charta für eine neue Promotionskultur

Plagiate sind kein Kavaliersdelikt. Es hat zwar ein bisschen gedauert, aber im Laufe des Jahres 2011 ist diese Botschaft doch allmählich auch in der breiteren Öffentlichkeit angekommen. Für einige Politiker bedeutete das neu entfachte öffentliche Interesse an ihren akademischen Leistungen gar das vorläufige Karriereende. Dass sich am Ende doch die Auffassung durchsetzte, wissenschaftliches Fehlverhalten habe durchaus auch politische Relevanz, kann die Wissenschaft durchaus als Erfolg verbuchen.

Für die Wissenschaft fängt die Bewältigung der Affären damit aber erst an. Angesichts der viele Fragen, die sich aus der mangelnden Umsetzung guter wissenschaftlicher Praxis ergeben, wäre es zu einfach, von einem eindeutigen Sieg der Wissenschaft zu sprechen. Zu deutlich ist, dass man an Deutschlands Universitäten eben nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Angesichts der jüngsten Berichte, dass einige Professoren bereits früh Kenntnis vom Plagiatsverdacht bei zu Guttenberg wussten, aber keine Maßnahmen ergriffen oder dem Entdecker unter Verweise auf eine mögliche Schädigung der Karriere rieten, den Verdacht nicht öffentlich zu machen, stellt sich die Frage, ob sich an den Universitäten tatsächlich eine "Kultur des Wegsehens" oder der falsch verstandenen Kollegialität etabliert hat.

Nachdem auch die großen Wissenschaftsorganisationen ihre in der Causa Guttenberg anfänglich zu beobachtende Schockstarre überwunden und schon in der Causa Koch-Mehrin zu deutlichen Worten gefunden hatten, hat auch der Diskurs innerhalb der Universitäten und Wissenschaftsorganisationen an Fahrt gewonnen. Landauf und landab haben sich Veranstaltungen der Thematik gewidmet, auf denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über unterschiedliche Möglichkeiten zur Stärkung guter wissenschaftlicher Praxis diskutierten - gestern auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen unter Federführung der DFG (Video-Mitschnitt der Podiumsdiskussion; Berichte im Deutschlandfunk und der taz). Ein Ausgangspunkt der Diskussion waren Vorschläge, die in den letzten Wochen und Monaten von unterschiedlichen Akteuren im Wissenschaftsbereich erarbeitet wurden. Im November stellte beispielsweise der Wissenschaftsrat ein Positionspapier zur Qualitätssicherung der Promotion vor, in dem unter anderem für die stärkere Einbindung von Doktoranden in Forschungsstrukturen, die Betreuung durch mehrere Personen und die Beschränkung auf zwei Notenstufen plädiert wird. Andere, wie beispielsweise der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, sprechen sich gegen die "Ablösung des persönlichen Verhältnisses zwischen Doktoranden und Doktorvater bzw. Doktormutter zugunsten einer entpersonalisierten Zuweisung der Doktoranden an ein Promotionskomitee" aus.

Leider wird in diesen Diskussionen meist eher über Doktoranden diskutiert als mit ihnen. Das ist aus zwei Gründen bedauerlich:

Zum einen könnte man beinahe den Eindruck gewinnen, es seien in erster Linie die Doktoranden, bei denen wissenschaftliches Fehlverhalten zu beobachten sei. Dabei hat beispielsweise die WissenschaftlerInnen-Befragung 2010 des Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (iFQ) deutliche Zahlen zu Tage gefördert: "Die Probleme wissenschaftlichen Fehlverhaltens werden in der Scientific Community – nicht nur vor dem Hintergrund der jüngsten Skandale – sehr genau registriert. Mehr als die Hälfte der befragten Professorinnen und Professoren berichtete eigenes oder fremdes Fehlverhalten – insbesondere versagte oder künstliche Autorschaft und Nachlässigkeiten im Zuge von Begutachtungen." (S. 185-186) Nicht zuletzt ließe sich argumentieren, dass Doktoranden häufig Opfer wissenschaftlichen Fehlverhaltens werden.

Zum anderen fehlen in der Debatte die Stimmen derjenigen, die am meisten von den bevorstehenden Änderungen betroffen sein werden - ob es sich um die Einführung von eidesstattlichen Versicherungen, verpflichtenden Kursen oder Plagiatssoftware handelt. Ungeachtet der (mehr oder minder großen) Sinnhaftigkeit dieser Maßnahmen wäre es wünschenswert, wenn man mehr darüber wüsste, was Doktorandinnen und Doktoranden von den gegenwärtig diskutierten Vorschlägen halten. Dabei weiß man noch nicht einmal besonders viel über all jene, die in Deutschland an ihrer Doktorarbeit sitzen. Noch nicht einmal genaue Zahlen über die Anzahl der Promovierenden sind bekannt. Auch deswegen fordert der Wissenschaftsrat einen eigenen "Doktorandenstatus" für alle Promovierenden, mit dem eine ungeachtet der Anbindung eine Erfassung seitens der Universitäten möglich wäre, gleichzeitig aber auch auch die Interessenvertretung des Nachwuchses erleichtern könnte.

Zunächst erscheint es aber wünschenswert, eine Position des wissenschaftlichen Nachwuchses zur Qualitätssicherung der Promotion zu erarbeiten. In Kooperation mit dem Promovierenden-Netzwerk THESIS will bildungsrepublik.de daher versuchen, eine solche Diskussion in Gang zu setzen. Mit der Technologie von echo wollen wir ein Experiment wagen, das auf die Mitarbeit von vielen angewiesen ist, aber auch den Nachweis antreten könnten, dass der wissenschaftliche Nachwuchs im Internet nicht nur meckern, sondern auch konstruktive Vorschläge machen kann. Ersteres hat mit dem Offenen Brief von Doktoranden an die Bundeskanzlerin bereits gut funktioniert - und auch Zweiteres sollte zu schaffen sein.

Wir freuen uns über Mitarbeit, Anregungen und Kommentare. Mehr Informationen zur Aktion gibt es auf der entsprechenden Seite bei echo - www.echo.to/charta-promotionskultur - sowie auf der für die Aktion eingerichteten Facebook-Seite.